Die Koppelfrage – unter Reiterkollegen häufig ein heiß diskutiertes Thema. Von 24/7 Weidehaltung ohne Unterstand bis zu gelegentlichem Grasen an der Hand ist alles dabei, wobei die einzelnen Haltungsformen von ihren praktizierenden Pferdebesitzern besonders in den Sozialen Medien mitunter nahezu fanatisch gepredigt werden.
Toleranz? Meist Fehlanzeige, jeder beansprucht die einzig wahre Form der Pferdehaltung für sich. Weicht ein Pferdehalter diesbezüglich nur einen Millimeter nach rechts oder links von der gefühlt einzig wahren eigenen Haltungsform ab, sieht dieser sich nicht selten mit dem Vorwurf der Tierquälerei konfrontiert.
Doch welche ist für Pferde tatsächlich die beste Haltungsform?
Reine Weidehaltung, Offenstall, Box mit Koppelgang in der Herde, Box mit Koppelgang auf Einzelkoppeln oder doch nur Grasen an der Hand?
Die Antwort: kommt drauf an...
Die wenigsten Reiter haben das Glück, über einen eigenen Stall am Haus zu verfügen, der hell und luftig ist, mit endlosen Weiden vor der Haustür, auf denen die Pferde zusammen in der Herde nach Herzenslust den Tag verbringen können. Die meisten von uns sind abhängig vom Angebot an Einstellplätzen in der Nähe des jeweiligen Wohnorts, wobei auch hier Anfahrtswege von 50 km ohne zu murren in Kauf genommen werden, um dem geliebten Pferd ein möglichst schönes zu Hause zu bieten. Natürlich spielt bei der Stallwahl auch der eigene Geldbeutel eine Rolle, denn bei den Einstellkosten von 100 – 800 Euro pro Box ist je nach Wohnort und Haltungsform alles vertreten.
Was spricht für die einzelnen Haltungsformen, wo aber liegen auch die Probleme?
Reine Weidehaltung
Unsere Fohlen wachsen an der Ostseeküste auf. Hier leben auf riesigen Marschweiden im Herdenverband 30-40 Jungpferde von April bis Oktober völlig auf sich gestellt. Die Pferde lernen im Herdenverband Sozialverhalten, können sich aufgrund der Größe der Marschweiden aber jederzeit aus dem Weg gehen, wenn sich zwei doch einmal absolut nicht riechen können. Dadurch werden Verletzungen minimiert. Reine Weidehaltung muss also in erster Linie genügend Platz bieten, zum einen, um zu gewährleisten, dass sich potentielle Streithähne jederzeit aus dem Weg gehen können, zum anderen, um für alle Herdenmitglieder stets ein ausreichendes Futterangebot sicherzustellen.
Weiterhin werden die Jungtiere noch nicht geritten und auch nicht geputzt. Dies ist ein wichtiger Aspekt der Gesunderhaltung, da die Körperhaare von nicht geputzten Pferden mit einer fettigen Substanz bedeckt sind, die die Pferde vor Durchnässen schützt. Durch diese Talgschicht verfügt das Fell über einen wasserabweisenden Effekt – das Wasser fließt an der äußeren Haarschicht ab, während die untere Schicht trocken bleibt. Durch regelmäßiges putzen und ausbürsten der Haare wird die Talgschicht entfernt, der wasserabweisende Effekt geht verloren. Weiterhin entsteht durch wälzen in Schlamm und Matsch eine Dreckschicht, die ebenfalls schützende Eigenschaften hat.
Sobald Pferde geritten werden, ist es erforderlich, zumindest die Körperstellen, auf denen Trense, Sattel und Gurt aufliegt, gründlich zu putzen, um Druckstellen zu vermeiden. Aus den genannten Gründen, sowie der Praktikabilität, einzelne Pferde aus dem Herdenverband von sehr großen Weiden zum reiten zu holen, scheidet diese Haltungsform zumindest für regelmäßig gerittene Pferde aus.
Offenstallhaltung
Die Offenstallhaltung punktet mit ganztägiger freier Bewegungsmöglichkeit, frischer Luft, kontinuierlicher Futteraufnahme, sowie einem stabilen Herdenverband, der den Pferden ermöglicht, soziale Kontakte zu pflegen. Grundsätzlich stellt die offene Gruppenhaltung an Stallbetreiber wesentlich höhere Anforderungen als die reine Boxenhaltung mit Auslauf. Die Zeiten, in denen mit Offenstallhaltung einfach eine Hütte auf einer Weide assoziiert war, gehören längst der Vergangenheit an. Inzwischen gibt es verschiedene Konzepte, bei denen sich Pferde richtig wohl fühlen, die aber gleichzeitig auch den menschlichen Bedürfnissen gerecht werden. Interessenten sollten den Offenstall ihrer Wahl vor dem Einzug genau unter die Lupe nehmen. Ist die Gruppengröße und -zusammensetzung akzeptabel, ist für alle Pferde genügend Platz vorhanden? Gibt es ausreichend Fressstände, damit auch rangniedrige Tiere nicht benachteiligt sind? Sind ausreichend große Flächen für Ruhebereiche und Auslauf vorhanden? Sind genügend Fluchtmöglichkeiten vorhanden, damit sich Streithähne aus dem Weg gehen können, ohne Verletzungen zu provozieren? Um allen Bedürfnissen der Gruppe gerecht zu werden, sind doch eine ganze Reihe von Punkten zu beachten. Die Anforderungen der Pferdebesitzer an Reit- und Putzplätze sollen an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden, hier muss jeder selbst entscheiden, wie viel Komfort ihm wichtig ist.
Neben den zahlreichen Vorteilen, die die Offenstallhaltung für Pferde bietet, muss jedoch immer das einzelne Tier genau beobachtet werden, ob es mit den Bedingungen auch wirklich zurecht kommt.
Für manch ein rangniedriges Pferd bedeutet die Durchsetzung im Herdenverband Dauerstress. Oft verlieren solche Tiere stark an Körpergewicht, obwohl genügend Futter vorhanden ist. Der Pferdekörper ist in andauernder Alarmbereitschaft und nur noch damit beschäftigt, den dauerhaften Stress zu bewältigen. Folge sind häufig Magenschleimhautreizungen und Magengeschwüre, die für betroffene Tiere mit großen Schmerzen verbunden sind. Ein weiteres, nicht zu unterschätzendes Risiko ist eine erhöhte Verletzungsgefahr. Weist das eigene Pferd immer wieder Biss- oder gar Trittwunden auf, sollte die Frage gestellt werden, ob die offene Gruppenhaltung zumindest in dieser Gruppenzusammensetzung für dieses Tier die richtige Haltungsform ist. Wichtig ist hierbei auch ein kontinuierlicher Herdenverband, da sich mit dem Hinzukommen oder Herausnehmen einzelner Tiere Rangfolgen ändern können, was zu weiteren Verletzungen führen kann.
Boxenhaltung mit täglichem Koppelgang: alleine oder in Gruppen?
Entscheidet man sich für einen Stall mit Boxenhaltung, sollte überprüft werden, ob den Pferden genügend Möglichkeiten zur freien Bewegung zur Verfügung stehen. Denkbar sind hier Gruppenhaltung in größeren Herdenverbänden, Koppelgang in Kleingruppen, sowie in Einzelhaltung. Oftmals sind die Gruppengrößen durch die Größe der zur Verfügung stehenden Weideflächen vorgegeben.
Laut FN-Leitlinien sollte ein Auslauf für bis zu 2 Pferde mindestens 150 Quadratmeter groß sein. Pro weiterem Pferd sollten zusätzlich mindestens 40 Quadratmeter Weidefläche zur Verfügung stehen.
Wird die Boxenhaltung mit ausreichend Auslauf, wenn möglich in Gesellschaft anderer Pferde zur Pflege der Sozialkontakte kombiniert, hat sie durchaus ihre Vorteile. Gerade rangniedrige und alte Tiere genießen es, einige Stunden in der Box zu verbringen. Hier können sie in Ruhe fressen, ohne vertrieben zu werden und können entspannt schlafen. Auch ranghohe Tiere können in Boxen besser entspannen. Ebenso sind eine individuelle Fütterung, auf die Bedürfnisse des jeweiligen Tieres abgestimmt, sowie die Beachtung von Futtermittelallergien mit einer Boxenhaltung leichter realisierbar.
Trotz der vielen genannten Vorteile hat die Boxenhaltung natürlich auch Nachteile: je nachdem, wie viele stunden das Pferd pro Tag in seiner Box verbringt, kommen natürliche Bewegung, sowie notwendige Sozialkontakte oft zu kurz. Verbringen Pferde den größten Teil des Tages in der Box, kann auch dies einen Stressfaktor darstellen, der zu Verhaltensauffälligkeiten führen kann. Ein nicht ganz uneigennütziger Nebeneffekt von ausgedehntem Weidegang ist für den Reiter ein meist recht entspanntes Pferd bei Reit- und Trainingseinheiten, denn überschüssige Energie kann bereits auf der Weide abgebaut werden. Hier wird der besorgte Pferdehalter als Nachteil gerade in der Gruppenhaltung eine erhöhte Verletzungsgefahr anführen, als Vorteil insbesondere die Pflege von Sozialkontakten.
Was sagt eigentlich der Gesetzgeber zum Thema Koppelgang?
Auf die Frage, wie viel freie Bewegung ein Pferd braucht, geben die Leitlinien des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL)eine klare Antwort. Hier heißt es: „Pferde haben […] einen Bedarf an täglich mehrstündiger Bewegung.“ Mehrstündig bedeutet laut Deutschem Tierschutzbund mindestens zwei Stunden. Hierbei ist Bewegung jedoch nicht gleich Bewegung. Kontrollierte Bewegung (Arbeit, Training) beinhaltet nicht die gleichen Bewegungsabläufe wie die freie Bewegung, bei der die Fortbewegung im entspannten Schritt überwiegt, aber auch überschüssige Energie und Verspannungen abgebaut werden können, sagen die Leitlinien. Daher kann kontrollierte Bewegung die freie Bewegung auf der Weide nicht vollständig ersetzen. Der Pferdebesitzer kann nach Expertenmeinung den täglichen Bewegungsbedarf eines Pferdes in Kombination decken. Sprich: Eine Stunde reiten und eine Stunde Zeit im Auslauf oder auf der Weide, bei kürzerem Training entsprechend länger. Das ist das absolute Minimum. Klar ist jedoch: Je länger ein Pferd sich frei bewegen kann, desto besser! Weiterhin wird vom Deutschen Tierschutzbund gefordert, dass zumindest Jungtiere zur Pflege von Sozialkontakten immer mindestens zu zweit auf der Weide stehen sollten. Theoretisch ist ein Verstoß gegen die Auflagen, Pferden die Möglichkeit zur freien Bewegung zu geben, sogar strafbar.
Doch Vorsicht, bevor übereifrige militante Anhänger der 24 h Weidehaltung endlich eine rechtliche Grundlage sehen, ihre Reiterkollegen aus dem Nachbarstall, in dem die Boxenhaltung mit einstündigem täglichem Weidegang in Einzelhaltung gepflegt wird, vor Gericht zu zerren: so eindeutig ist die Gesetzeslage nicht.
Der Deutsche Tierschutzbund fordert zwar eine Pferdehaltung in Gruppen mit mehrstündig freier Bewegung, es stellt sich aber die Frage, inwieweit ein Reiter wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz zu bestrafen ist, wenn er seinen Sportpferden diese Art der Haltungsform aus Angst vor Verletzungen nicht „gönnt“, wohl aber für beste Unterbringungsmöglichkeiten in geräumigen Boxen und reichlich kontrollierte Bewegung sorgt. Hier stellt sich in erster Linie die Frage nach der Gesetzesgrundlage, ob eine Straftat vorliegt, wenn ein Pferdehalter das Verletzungsrisiko einer Gruppenhaltung als so groß ansieht, dass er eine kontrollierte Bewegung seines Pferdes vorzieht.
Die strafrechtlichen Anforderungen
Nach § 17 Tierschutzgesetz (TierSchG) wird bestraft, wer einem Wirbeltier länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zufügt.
Dieser Tatbestand dürfte bei unserem o.g. Reiter, der für bestmögliche Bedingungen mit ausreichend kontrollierter Bewegung sorgt, schwer nachzuweisen sein.
Dass das Angebot von Auslaufflächen für die Einzel- und Gruppenhaltung aus der Sicht des Pferdes wünschenswert ist, soll nicht bestritten werden, aber ein strafrechtlicher Tatbestand ergibt sich hieraus nicht. Oft wird das Argument angeführt, Pferde würden sich in freier Natur den ganzen Tag auf der Nahrungssuche bewegen. Eine kontinuierliche Bewegung wurde allerdings nur bei Pferden beobachtet, denen in der Nähe ihres Standortes nur wenig Futter zur Verfügung stand, die also zur Futteraufnahme gezwungen waren, sich fortzubewegen. Beobachten wir Pferde, denen reichlich Futter auf großzügigem Areal angeboten wird, wird man jedenfalls nach vorausgegangener kontrollierter Bewegung unter dem Reiter auch bei mehrstündigem Weideaufenthalt keine nennenswerte Fortbewegung beobachten können.
Im Gegenzug könnte der besorgte Sportpferdehalter an die militante „Mein-Pferd-muss-24-Stunden-draußen-stehen-egal-bei-welchem-Wetter“-Fraktion die Gegenfrage stellen, ob nicht evtl. ein Verstoß gegen § 17 Tierschutzgesetz vorliegt, wenn nach einer Schlechtwetterperiode die Herde bis zum Karpalgelenk im Schlamm steht und die Hälfte der Tiere chronische Fesselträgerschäden davon trägt.
Die Richtlinien
Bei der Überprüfung von Pensionsställen werden von Veterinärbehörden die „Leitlinien zur Beurteilung von Pferdehaltung unter Tierschutzgesichtspunkten“ herangezogen. Diese Leitlinien beziehen sich, wie bereits angeführt, auf die Ermöglichung von Sozialkontakten, sowie die Möglichkeit der freien Bewegung auf ausreichen groß bemessenen Auslauf- und Weideflächen. Diese Empfehlungen sind im Sinne der Gesunderhaltung der Pferde sicherlich erstrebenswert, zu beachten ist allerdings, dass es sich hierbei um Leitlinien handelt, nicht um zwingende gesetzliche Vorgaben
Daher kann bei Nichteinhaltung dieser Empfehlungen nicht auf ein strafbares Verhalten des Pferdehalters geschlossen werden. Voraussetzung dafür wäre der Nachweis, dass dem Pferd ansonsten länger anhaltende oder sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zugefügt würden. So wünschenswert die Einhaltung der Leitlinien aus Pferdesicht auch sind, sie sind nicht mehr - und nicht weniger - als ein Konsens, den einige Experten gefunden haben. Bis jetzt gibt es keine breit angelegten wissenschaftlichen Studien, welche Haltungsbedingungen in Bezug auf den Aspekt , ob und wenn ja, in welchem Ausmaß eine Boxenhaltung mit regelmäßiger, kontrollierter Bewegung ohne Möglichkeit einer freien Bewegung Schmerzen oder Leiden verursacht, untersuchen.
Dass einem Pferd, das von einem Reiter durch Gerteneinsatz misshandelt oder überfordert wird, Schmerzen bzw. Leiden zugefügt werden, unterliegt keinem Zweifel. Ob aber tatsächlich die Entscheidung des Eigentümers, sein Pferd nicht in der Gruppe zu halten, zu Schmerzen oder Leiden führt, erscheint doch eher fragwürdig. Gerade unter der Berücksichtigung des Tierschutzes sollte auch der Aspekt des erhöhten Verletzungsrisikos in Überlegungen bezüglich der Haltungsform mit einbezogen werden. Eine Umfrage bei Tierkliniken und Pferdehaftpflichtversicherungen hat ergeben, dass die gemeinsame Weidehaltung im Vergleich zu anderen Haltungsformen das höchste Verletzungsrisiko für die Pferde begründet.
Fazit:
Egal ob Weidehaltung, Offenstallhaltung oder Boxenhaltung, mit oder ohne Auslauf in Gruppen - jede Haltungsform hat ihre Berechtigung und Vorteile, sowie gewisse Nachteile. Jeder Pferdehalter sollte bemüht sein, individuell die für sein Pferd beste Unterbringung zu finden. Nicht jedes Pferd steht gerne 24h draußen, genauso wie ein anderes Pferd sich unter diesen Bedingungen pudelwohl fühlt. Hier ist jeder Pferdehalter gefragt, die Bedürfnisse seines Tieres zu erkennen und gegebenenfalls eine andere Haltungsform in Erwägung zu ziehen. Genau wie wir Menschen haben auch Pferde unterschiedliche Bedürfnisse und Vorlieben. Der eine ist am liebsten den ganzen Tag an der frischen Luft, der andere genießt sein Leben im warmen Stübchen. Und ja, Wildpferde waren den ganzen Tag draußen, aber die wurden auch nicht geritten und hatten vielfältige Rückzugsmöglichkeiten und genügend Platz, sich notfalls aus dem Weg zu gehen. Und trotz unserer evolutionsgeschichtlichen Abstammung vom Höhlenmenschen, bevorzugen wir doch im Allgemeinen auch unser behagliches Wohnzimmer und geregelte, in Ruhe eingenommene Mahlzeiten. In letzter Konsequenz muss jeder Pferdehalter selbst entscheiden, wie er sein Pferd hält, wünschenswert wäre nur ein gewisses Maß an Toleranz gegenüber Reiterkollegen, die für ihr Tier eine andere Haltungsform als die selbst propagierte gewählt haben.